
Madge Gill und Walter Stöhrer
Mythos. Eine fragmentarische Erkundung
04.07.2025 – 19.07.2025
»Myrninerest« so nannte Madge Gill (1882–1961) den Geist, der ihr während des Zeichnens meist nachts erschien. Noch in der viktorianischen Zeit als uneheliches Kind in einem Londoner Vorort geboren, durchleidet Gill im Laufe ihres Lebens nahezu alles, was es an Schicksalsschlägen geben kann. Sie wird von Mutter und Tante aufgezogen, die ihre Existenz jahrelang geheim halten, dann doch in ein Waisenhaus abgeschoben und von dort als eine Art Haushaltshilfe nach Kanada verschifft. Mit 19 Jahren gelingt es Gill ins Londoner East End zurückzukehren, wo sie als Krankenschwester arbeitet. Um 1919 beginnt sie zu zeichnen, sie ist mittlerweile auf einem Auge erblindet. Es entstehen Schriften und Stickereien. In der Fläche des Blattes erfüllt sich diese Dichte einer Fädelung durch ihre Stilistik der Zeichnung. Sie sind engstens gefügt und bestechen durch ihre unmittelbare Präsenz. Madge Gill ist zu keinem Zeitpunkt daran interessiert »Kunst« zu schaffen. Von dem Phantom »Myrninerest« getrieben, bilden ihre mystischen Arbeiten eine Art Schutzwall gegen eine äußere Welt.
Walter Stöhrer (1937–2000) hingegen wählt bewusst eine enge Anbindung an das Thema Mythos, ohne diesen auf narrative Strukturen zu reduzieren. Es handelt sich um eine gestische und fragmentarische Erkundung mythischer Prinzipien wie Rausch und Ekstase. Auch kryptische Textfragmente aus verschiedenen Quellen bindet Stöhrer ein – von der existentialistischen Literatur bis zu den Vorsokratikern – und er erzeugt eine polyphone Beziehung zwischen Bild und Wort in der rätselhaften Sprache mythischer Orakel. Die Fragmente erscheinen wie Bruchstücke einer verschütteten, aber weiterhin wirkmächtigen Welt vor ihrer rationalen Durchdringung. Themen wie Schöpfung, Zerstörung, Transformation und die menschliche Existenz im Spannungsfeld von Natur und Kultur werden reflektiert. Der Körper wird zum Schauplatz existenzieller Kämpfe, ähnlich wie in den antiken Mythen, deren zeitlose Kraft Stöhrer verbildlicht.
Madge Gill, Ohne Titel Jahr: 1948, Tusche auf Postkartenkarton, 13,8 x 8,7 cm, Copyright Johann Hinrichs Fotografie
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