Giovanni Castell

Mit Enigma präsentiert die Galerie Andreas Binder bnereits die zweite Einzelausstellung des Künstlers Giovanni Castell.
In technisch vielschichtigen, an die Farbfeldmalerei erinnernden Bildern, lässt er sein eigentliches Motiv zugunsten der Auseinandersetzung mit dem Wesen von Licht, Raum und Farbe nahezu verschwinden und schafft so die malerische Illusion von Räumlichkeit, in der die Immaterialität von Licht und Energie unmittelbar spürbar wird.
Zeichnete sich seine aus digitalen Fotografien und Renderings bestehende Serie Aporie noch durch klare Raumkompositionen und narrative Elemente aus, so sind seine neuen, größtenteils abstrakten Arbeiten zwar ebenfalls virtuell erzeugt, erzielen ihre kontemplative Wirkung jedoch insbesondere durch ein dem digitalen Entwurf nachgestellten Verfahren.
Castell benutzt ein Siebdruckverfahren, bei dem er die Hintergründe des Plexiglases mit Blattgold und Blattsilber beschichtet. Die Hitze des Backofens verleiht dem Plexiglas schließlich seine Wölbung.
Die Verschmelzung von malerischen, fotografischen und technischen Elementen wird so zum Spiegel eines subjektiv erlebten, nicht eingefrorenen Augenblicks, der nur noch sinnlich wahrgenommen werden kann.
Dabei ist die ikonographische Beziehung zum amerikanischen Expressionismus klar erkennbar. Castells Herangehensweise ist intuitiv, seine Inspiration schöpft er aus Momenten der Ruhe, in denen unterbewusste Grundstimmungen zum Vorschein kommen. Seine Formen sind organisch und kurvig, eher anmutig als strukturell,
nur vereinzelt findet man figurative Elemente – der Schatten einer Person oder das vordergründige Motiv der Blume.
Hier scheint es, als habe die Kunst angesichts virtueller Scheinwelten und der allgegenwärtigen Beschleunigung aller Lebensbereiche, dazu geführt, die Schönheit wieder in der Natur zu suchen und abzubilden.
Im antiavantgardistischen Motiv der Blume findet Castell nun das mikrokosmische Abbild der unmittelbaren Sinnlichkeit, wie sie nur Im Jetzt, jenseits des Zeitkontinuums von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erlebt werden kann.
Die Annäherung an die Erhabenheit des Augenblicks oder die Sublimität des Moments, der die Wahrnehmung des Makrokosmos im Jetzt ermöglicht, verdeutlicht die spirituelle Dimension von Castells Werken, die als bewegliche Farben, grundiert mit Silber und Gold und getränkt mit Licht mehr verkörpern als eine von einem Algorithmus gesteuerte Illusion. Vielmehr sind sie in der Lage, dem Betrachter eine bestürzende Erfahrung von Schönheit, wie man sie aus mystischen Quellen kennt, zu ermöglichen.

Giovanni Castell
o. T., 2022
Siebdruck, Blattgold, Epoxidharz
105,5 x 80 cm, Copyright: Galerie Andreas Binder, Giovanni Castell